Walking

Hand aufs Herz! Das hätte sicherlich auch ein Karl Nagel kaum erwartet, als er im Sommer unter dem Stichwort "Walking" interessierte Schnellwanderer zur Klus lud. Skeptiker - damals schon ein wenig überrascht vom großen Teilnehmerfeld - dachten sich wohl: "Na ja, wieder einmal viel Lärm um nichts, man weiß ja in der Regel genau, wie so etwas endet. Anfangs gibt es eine Riesenbegeisterung bei diesen Trendsportarten. Ist der Lack des Neuen nach kurzer Zeit erst einmal ab, dann schläft die Sache von selbst wieder ein." 

Jutta und Alfred Kropp mit Karl Nagel - Begründer des Bühner Walking-Fiebers

Welch eine Fehleinschätzung! In der Zwischenzeit hat sich die neueste Errungenschaft des FC durchgesetzt und erfreut sich nach wie vor wachsender Beliebtheit. Sicher, vom gegenwärtigen "Walking-Fieber" sind in erster Linie Frauen infiziert. Doch das muss nicht heißen, dass Männer nicht auch bald ihr Herz für diese Sportart entdecken. Heimlich werden viele es bestimmt schon probiert haben, doch der Schritt in die Öffentlichkeit fällt bei dieser zugegeben gewöhnungsbedürftigen Sport schwer. Diesen Weg haben die zahlreichen Gruppen der Walkerinnen schon längst hinter sich gebracht. Fährt man heute einmal zur Klus, um frische Luft zu schnappen, gehören Walkerinnen zum alltäglichen Bild. Sie lassen schon lange auch nicht mehr verschämt sofort die Arme fallen, wenn etablierte Wanderer oder Jogger ihren Weg kreuzen, denn auch für diese ist der Anblick nichts außergewöhnliches mehr. Gut so! Wenn man sich ein wenig erinnert, mussten Frauen sich ihre Sportarten immer selbst hart erkämpfen. Man denke nur daran, wie lange Mittel- oder Langstreckenläuferinnen warten mussten, bis sie endlich um olympische Ehren laufen durften. 
Sportarten und ihr gesellschaftliches Erscheinungsbild, das ist ein Kapitel für sich. Fußball galt vor nicht gar zu langer Zeit als der "Proletensport" schlechthin und Tennis als das genaue Gegenteil. Wer Fußball spielte oder Schiedsrichter war, konnte nichts im Kopf haben. Immer wieder gern erzählt oder gehört sind die Beispiele von Horst Szymaniak und "Ente" Lippens. Szymaniak, von dem Manager eines Vereins mit den Worten zur Vertragsverlängerung gedrängt: "Nun unterschreib schon endlich, wir geben dir auch ein Drittel deiner bisherigen Bezüge mehr", antwortete: "Ihr könnt mich nicht verschaukeln, wenn ich schon unterschreibe, dann will ich mindestens ein Viertel mehr haben." Die Geschichte von Willi Lippens` roter Karte lief so ab: Ein Schiedsrichter zu Lippens: "Ich verwarne Ihnen!" Darauf Lippens: "Ich danke Sie." Geschichten aus noch gar nicht zu langer Vergangenheit. Schaut man sich heute einmal an, mit welcher Gewandtheit sich der überwiegende Teil der aktuellen Profis vor laufender Kamera ausdrückt, kann man verstehen, dass sich heute Politiker, Würdenträger und Industriemanager mit ihrer Mitgliedschaft zu einem x-beliebigen Verein schmücken. Beim Tennis sind die Zeiten eines deutschen Tennisgentleman Gottfried von Cramm schon längst vorbei. Spätestens seit John Mc Enroes Pöbeleien glauben viele junge Spieler, ihre Klasse schon dann bewiesen zu haben, wenn sie den Schläger auf den Boden geschleudert oder in den Fangzaun gewuchtet haben. 

Vor dem Start

Ist der Wandel der Wahrnehmung dieser beiden Sportarten innerhalb der Gesellschaft durch die geschilderten Beispiele noch nachvollziehbar, so gibt es Bereiche, die kaum erklärbar sind. Warum, um beim Thema zu bleiben, müssen Walkerinnen noch zur Klus fahren? Sicher, sie haben dort eine ideale Strecke. Kann es aber nicht sein, dass Walkerinnen in ein paar Jahren zum gewohnten Erscheinungsbild unseres Dorfes zählen? Wird dann auch noch gelächelt, wenn sie zum Kindergarten oder zur Schule walken, um dort ihre Kinder abzuholen? Es liegt nie am Sport selbst, sondern nur an unserer subjektiven Wahrnehmung, ob eine Sportart anerkannt wird oder nicht. Warum werden Sportarten überhaupt unterschiedlich bewertet? Wie lächerlich unser System der Akzeptanz von verschiedenen Sportarten ist, belegt folgendes Beispiel: Zu Recht wird der Bühner des Monats Oktober, Klaus Krull, wegen seiner Leistung in der Tischtennismannschaft in seinem hohen Sportleralter sehr geachtet und anerkannt. Nehmen wir nun einmal an, sein Sohn Michael würde seine Sporttasche zu den Spielen im Auto mitnehmen, und Klaus Krull würde zur Alsterhalle joggen. Es würden sich einige Mitbewohner wundern, aber immerhin - joggen ist nicht so schlimm und außerdem ist es gesund. Würde Klaus Krull als alter Schlittschuhläufer nun aber seine Liebe zu den Inline-Skates entdecken und kurz vor dem Spiel noch einmal damit durch das Dorf flitzen, so wäre wohl ein allgemeines Kopfschütteln die Folge. Ausrasten und für meschugge halten würden aber die Einwohner denselben Sportler, wenn er sich plötzlich mit einem Springseilchen bewaffnet, hüpfend auf den Weg zur Alsterhalle machen würde.

Gute Laune auf der Strecke

3 Wochen später: Der Boxstall Sauerland hat in Bühne sein Trainingscamp aufgeschlagen, und die Boxer gehören seilchenhüpfend zum täglichen Erscheinungsbild des Dorfes. Auch der schon etwas betagte Wilfried Sauerland macht mit und erntet nach kurzzeitiger Verwunderung des Publikums Respekt für seine Fitness. Wenn danach ein 65-jähriger Klaus Krull in der gleichen Art und Weise zu seinem Sport laufen würde, wäre die Reaktion der Zuschauer mit Sicherheit eine andere als zuvor.
Deshalb werden auch die Bühner Walkerinnen, wenn sie diesen Sport in Bühne noch weiter gesellschaftsfähig machen, Pionierarbeit in einer besonderen Art und Weise geleistet haben.

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